Der exotisierende Blick?

Diskussion über die Parade der Kulturen in Frankfurt am Main
23.06.2012 // 19 Uhr // »Faites votre jeu!«, Klapperfeldstraße 5

Die Parade der Kulturen wird seit 2003 vom Frankfurter Jugendring organisiert und unter anderem von der Stadt Frankfurt und dem „Amt für multikulturelle Angelegenheiten“ unterstützt. Vereine und Projekte von (Post-)Migrant_innen werden dazu aufgerufen, „ihre“ Kultur in den Straßen Frankfurts zu präsentieren. Dabei möchten Veranstalter und Stadt eine möglichst breite kulturelle Vielfalt sichtbar in der Parade vereinigen.

Wir möchten zu einer Debatte einladen, um die Rolle von (Post-)Migrant_innen in Frankfurt zu diskutieren. Welche Ziele verfolgen Veranstalter, Stadt und Teilnehmende bei dieser Veranstaltung? Wie wird mit kultureller Vielfalt abseits der Parade umgegangen? Ist es überhaupt sinnvoll, von kultureller Vielfalt zu sprechen?

Diese und viele weitere Fragen möchten wir am 23. Juni ab 19 Uhr im Hof des ehemaligen Polizeigefängnisses Klapperfeld in lockerer Atmosphäre diskutieren und laden herzlich dazu ein.

Veranstaltet von frankfurt postkolonial (frankfurt.postkolonial.net) und Afrika Kulturprojekte e. V. (www.afrika-kulturprojekte.de/)

> Flyer

 

Umbenennung von Straßen in München

Pressemitteilung des AK Panafrikanismus vom 27. März 2012:
Umbenennung von Straßen in München bzw. Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte.

Der Arbeitskreis Panafrikanismus München begrüßt ausdrücklich den Beschluss des Ausländerbeirats München zur Straßenumbenennung und fordert die Verantwortlichen der Stadt München auf, diesen Beschluss ernsthaft zu behandeln und umzusetzen. Mit Anwesenheit von Vertreterinnen und Vertretern der afrikanischen Gemeinde in München hat der Ausländerbeirat der LH gestern, am 26. März 2012, im Münchner Rathaus während seiner Vollversammlung u.a. einen Antrag zur Straßenumbenennung im sog. Münchner Kolonialviertel einstimmig beschlossen.

Der Ausländerbeirat fordert den Oberbürgermeister und der Stadtrat der Landeshauptstadt auf, sich dafür einzusetzen, dass folgende Straßennamen umbenannt werden:

In Bogenhausen (Stadtbezirk 13) :
Wißmannstraße, Dominikstraße, Bennigsenstraße, Leutweinstraße, Lüderitzstraße

In Trudering-Riem (Stadtbezirk 15):
Von-Gravenreuth-Straße,Von-Erckert-Straße, Von-Erckert-Platz, Von-Heydebreck-Straße.

Weiterhin sollen auch die folgenden Straßen umbenannt werden, da sie Orte benennen, wo Massaker stattgefunden haben: Groß-Nabas-Straße, Swakopmunder Straße, Taku-Fort-Straße.

Als Begründung betonen die Mitglieder des Beirates: “Die Stadt München soll als u.a. Mitglied der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus Abstand nehmen von Ehrungen von Persönlichkeiten, die die rassistische Kolonialideologie repräsentieren und Völkermord begangen haben. Die Erläuterungstafeln die vom Stadtrat beschlossen wurden sagen zwar die Wahrheit, sind aber nicht ausreichend, sondern sollen dazu führen, dass diese Straßen unbenannt werden. Mit oder ohne Erläuterungstafeln verdient kein Massenmörder einen Straßennamen.

Personennamen der neueren Geschichte sollen nur dann verwendet werden, wenn ihr Geschichtsbild
nach Persönlichkeit, Verhalten und Nachwirkung abgeklärt ist und überwiegend positiv bewertet wird.“

„Wir gehen davon aus, dass der jetzige Stadtrat unseres weltoffenen München sich von den Taten und Symbolen ihrer Vorgänger der 30er und 40er Jahre distanziert und bereit ist, einige damalige Irrtümer zu korrigieren“, so Hamado Dipama vom Arbeitskreis Panafrikanismus München. Er fügt hinzu, dass man die Namen kolonialer Gräueltäter in den Geschichts- und Schulbüchern deutlicher darstellen sollte, um die Vergangenheit nicht zu vergessen, anstatt sie mit Straßennamen zu würdigen. Die Straßen sollten besser umbenannt werden nach Opfern rassistischer Gewalt in Deutschland.

Arbeitskreis Panafrikanismus München e.V.
Kontakt: AK Panafrikanismus München e.V., AugsburgerStraße 13, 80337 München
Tel:089-416159959 oder 0176 – 620 67 359
sekretariat@panafrikanismusforum.net
www.panafrikanismusforum.net

RESOLUTION: Völkermord verjährt nicht!

Aufruf an die Mitglieder des Deutschen Bundestages zur Anerkennung und Wiedergutmachung des Völkermordes in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“, der heutigen Republik Namibia

Wir – die unterzeichnenden Schwarzen und weißen Initiativen, Organisationen und Institutionen der Zivilgesellschaft – begrüßen das mit der Namibia-Reise des Afrikabeauftragten des Auswärtigen Amtes Anfang Februar 2012 verbundene Einlenken der Deutschen Bundesregierung und die dabei erfolgte Aufnahme von direkten Gesprächen mit Verbänden der Opfer des deutschen Völkermordes von 1904-08. Wir betrachten diese überfällige Bereitschaft zum Dialog mit den Vertretungen der unmittelbar betroffenen Völker als einen ersten unverzichtbaren Schritt auf dem Weg zur Versöhnung zwischen den Menschen in Namibia und Deutschland.

Mit dieser Resolution bringen wir unser Mitgefühl für das den namibischen Völkern, insbesondere den Herero, Nama, Damara und San zugefügte Leid zum Ausdruck. Wir sind dankbar für ihre großherzige Bereitschaft zum Gespräch mit den Nachfahren der Täter und erklären uns solidarisch mit ihrem Einsatz für „restorative justice“ – für eine Gerechtigkeit, die nur aus Deutschlands aufrichtiger Bereitschaft zur Wiedergutmachung erwachsen kann. Wir unterstützen ihr Bemühen um eine offizielle Anerkennung des Völkermordes durch den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung. Ausdrücklich stellen wir uns hinter die Forderung der Opferverbände nach ideeller und auch materieller Entschädigung für das ihren Völkern widerfahrene kolonial-rassistische Unrecht sowie für ihre gravierenden Verluste an Hab und Gut.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages fordern wir auf,

  • jeder weiteren Leugnung des nach den Kriterien der UN-Völkermordkonvention von 1948 eindeutig als Genozid zu bewertenden Völkermordes in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ entgegenzuwirken und sich – wie im Falle des Genozids an den Juden – für seine rückwirkende Anerkennung durch Deutschland einzusetzen;
  • die Bundesregierung zu bewegen, den deutschen Selbstverpflichtungen bei der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban 2001 nachzukommen und die Nachfahren der Opfer des deutschen Völkermordes offiziell und unmissverständlich um Entschuldigung für den an ihren Vorfahren verübten Völkermord und die damit einhergehenden Verbrechen gegen die Menschheit zu bitten;
  • den intensiven und regelmäßigen Dialog über die mit einer Versöhnung zusammenhängenden Fragen – wie u.a. über die Aufarbeitung und Wiedergutmachung des von Deutschland zu verantwortenden kolonial-rassistischen Unrechts und seiner bis heute nicht überwundenen gravierenden Folgen für die Nachfahren der Opfer – mit dem Parlament der Republik Namibia und den Opferverbänden aufzunehmen und auf den Beschluss konkreter Maßnahmen ausgerichtet zu führen;
  • die Einrichtung einer Bundesstiftung zur kritischen Aufarbeitung des Genozids und des deutschen Kolonialismus insgesamt sowie zur Förderung postkolonialer Erinnerungskulturen zu beschließen und diese zu beauftragen, u.a.die Bundesregierung zur konstruktiven Fortführung der aufgenommenen Gespräche mit der namibischen Regierung und mit den Opferverbänden zu veranlassen;
    • die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Genozid und seinen Folgen im Rahmen namibisch-deutscher Forschungsprojekte zu fördern;
    • die Verbreitung des Wissens über Kolonialismus, Rassismus und ihre Folgen in der deutschen Öffentlichkeit und in den Schulen zu sichern;
    • Austauschprojekte, die zur Versöhnung zwischen den Menschen beider Länder und zur Bekämpfung von Rassismus beitragen, zu fördern;
    • die Dekolonisierung des öffentlichen Raums in Deutschland zu unterstützen (Stopp der fortgesetzten Ehrung für Kolonialverbrecher mit Straßennamen und Denkmälern, stattdessen Würdigung von Persönlichkeiten des afrikanischen Widerstands);
  • die Bundesregierung zu veranlassen, im Dialog mit der namibischen Regierung und mit den Opferverbänden angemessene materielle und strukturelle Wiedergutmachungsleistungen für die gravierenden ökonomischen Verluste der betroffenen Völker an Land, Vieh und anderem Eigentum zu vereinbaren;
  • die Bundesregierung zu veranlassen, die vereinbarten Wiedergutmachungsleistungen bedingungslos – d.h. ohne Einmischung in die freien Entscheidungen des namibischen Staates und der Opferverbände über deren Verwendung – zu erbringen.

Berlin, den 7. März 2012

  • AfricAvenir International
  • Afrika-Rat Berlin-Brandenburg
  • Afrika-Rat Nord
  • AFROTAK TV cyberNomads
  • Arbeitskreis Panafrikanismus München (AKPM)
  • Artefakte//anti-humboldt
  • Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER)
  • Berlin Postkolonial
  • Deutsch-Afrikanische Gesellschaft Berlin (DAFRIG)
  • Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund)
  • Solidaritätsdienst International (SODI)

Initiativen, Organisationen und Institutionen, die ebenfalls unterzeichnen wollen, wenden sich bitte an: info(at)berlin-postkolonial.de

Mitunterzeichner:

  1. Internationale Liga für Menschenrechte e.V., Berlin
  2. Kampagne “Zusammen handeln! Gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung!”, Berlin
  3. Quilombo “Eine-Welt” g.e.V., Dresden
  4. Hafengruppe Hamburg
  5. Bochumer Initiative Südliches Afrika
  6. Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA), Heidelberg
  7. NaturFreunde Berlin
  8. glokal e.V., Berlin
  9. Stoffwechsel – Dialoge und Projekte zur Förderung des Menschenrechts auf Bildung e.V., Karlsruhe
  10. Initiative Soundstrike Berlin
  11. AG postkolonial des Engagierte Wissenschaft e.V., Leipzig
  12. Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V., Berlin
  13. ANEE e.V., Berlin
  14. Afrikanews Archiv, Berlin
  15. VideoArtWorld, Berlin
  16. Transnational Decolonial Institute, Berlin
  17. ArtLabour Archives, Berlin
  18. Welt ohne Krieg und Gewalt Deutschland e.V.
  19. ISD Gießen
  20. Afrikanisches Viertel e.V., Berlin
  21. Kawaida e.V., Berlin
  22. Lernen dürfen e.V., Eppstein im Taunus
  23. Projekt ÜBER LEBENSKUNST.Schule, Berlin
  24. Reclaim Society!, Berlin
  25. Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e.V. (ASW), Berlin
  26. Initiative für Zivilcourage, München
  27. Zimbabwe Netzwerk e.V., Bielefeld
  28. Organisation des Jeunesses Panafricanistes du Sénégal
  29. Nord Süd Forum München e.V.
  30. Kulturverein Schwarzer Kanal e.V., Berlin
  31. Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I., Berlin
  32. Anti-Bias-Werkstatt, Berlin
  33. FOSA e.V., Freiburg
  34. Bahnhof Langendreer e.V., Bochum
  35. Berlin(er) Colloquium of Color
  36. Bezirksgruppe Bündnis 90/Die Grünen, Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
  37. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
  38. Commit Berlin e.V.
  39. Team am Lehrstuhl Rassismus und Migration, Alice Salomon Hochschule Berlin
  40. Promotionscolloquium Attia, Alice Salomon Hochschule Berlin
  41. Migration Research Group, Humboldt Universität Berlin
  42. AK Wissensproduktionen in der postmigrantischen Gesellschaft, Berlin
  43. Bildungsinitiative für Westafrika e.V., Berlin
  44. Der Afrikanische Ältestenrat München e.V.
  45. Diversity Committee, Nelson Mandela Schule Berlin
  46. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) Kreisvereinigung Bochum
  47. Eine Welt Netzwerk Hamburg e.V.
  48. Arbeitskreis Bielefeld-Postkolonial
  49. Arbeitskreis Palästina NRW e.V., Bochum
  50. RAA Brandenburg - Demokratie und Integration Brandenburg e.V., Potsdam
  51. ChristInnen für den Sozialismus (CfS), Münster
  52. Redaktion der PERIPHERIE. Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt, Münster
  53. Migrationsrat in Berlin-Brandenburg
  54. Verbund Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Brandenburgs (VENROB) e.V.
  55. New Generation e.V., Berlin
  56. Initiaitive “Kolonialismus im Kasten?”, Berlin
  57. CulturCooperation e.V., Hamburg
  58. issa – informationsstelle südliches afrika e.V., Bonn
  59. Redaktion der Zeitschrift “afrika süd”
  60. NARUD e.V., Berlin
  61. Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
  62. ISD Berlin
  63. Barnimer Kampagne “Light me Amadeu”, Eberswalde
  64. INKOTA-netzwerk e.V., Berlin
  65. Bündnis gegen Rassismus, Salzwedel
  66. Institut für Migrations- und Rassismusforschung e.V., Hamburg
  67. Interflugs – die autonome Studierendenorganisation der Universität der Künste, Berlin
  68. Namibia-AG der Albert Einstein Oberschule Berlin
  69. AK Hamburg Postkolonial
  70. Pro Afrika e.V., Berlin
  71. Tanzania-Network.de, Berlin
  72. Freiburg-Postkolonial
  73. ICJA Freiwilligenaustausch weltweit e.V.
  74. Adefra, Schwarze Frauen in Deutschland e.V.
  75. wir-frauen e.V., Düsseldorf
  76. Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt, Sachsen-Anhalt
  77. Netzwerk NeRaS, Hamburg
  78. Initiative freedom roads!
  79. Ovaherero Genocide Committee
  80. The Nama Technical Committee
  81. Committee of Keetmanshoop Residents
  82. TCL Workers Committee
  83. Namibia Home Owners Association
  84. Workers Advice Centre
  85. African Labour and Human Rights Centre
  86. Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der  AntifaschistInnen (VVN-BdA)
  87. Kreis der SPD Mitte, Berlin
  88. Projektgruppe “Afrikanisches Viertel”, SPD Kreisverband Mitte, Berlin
  89. Bundeskoordination Internationalismus (BUKO)
  90. Bildungswerkstatt Migration & Gesellschaft
  91. Kontakt und Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Bernau
  92. Demokratisches JugendForum Brandenburg
  93. Colonialism Reparation, Italy
  94. Fachausschuss für Internationale Politik, Frieden und Entwicklung der SPD Berlin
  95. Internationaler Arbeitskreis Berlin e.V. (IAK)
  96. München postkolonial [muc]
  97. Commit to Partnership e.V. München
  98. ARI Berlin – Antirassistische Initiative e.V.
  99. Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  100. Hilfsorganisation der Oromo Relief Association (H-ORA) e.V.
  101. Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen VEN e.V.
  102. Schwarzweiss Heidelberg
  103. Eine Welt Netz NRW e.V., Münster
  104. Mädchenmannschaft e.V., Berlin
  105. KommPottPora e. V., Gotha
  106. “BILDUNG-VEREINT” e. V., Gotha
  107. Buntspecht e. V., Gotha
  108. Initiative ausbrechen (Ex-Bürengruppe), Paderborn
  109. frankfurt.postkolonial

Kontakt:

Sharon Dodua Otoo sharonotoo(at)isdonline.de

Christian Kopp buero(at)berlin-postkolonial.de, Telefon: 0179-9100976

weitere Infos auf der Webseite von AFRICAVENIR

Gedenkmarsch zur Erinnerung an afrikanische Opfer

Das „Komitee für ein afrikanisches Denkmal in Berlin“ (KADIB) veranstaltet am 25.02. in Berlin den sechsten Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Sklavenhandel, Sklaverei, Kolonialismus und rassistischer Gewalt. Der Marsch beginnt um 11 Uhr an der Gedenktafel zur Aufteilung Afrikas in der Wilhelmstr. 92. Aufruf

Ermittlungen im Fall Christy Schwundeck eingestellt

Rund neun Monate, nachdem eine Polizistin im Frankfurter Jobcenter Callus die schwarze Hartz-IV-Bezieherin Christy Schwundeck erschossen hat, hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen die Schützin eingestellt. Wir dokumentieren zwei Pressemitteilungen der Initiativen, die sich für die Aufklärung der Tat einsetzen und die Einstellung scharf kritisieren:

 

Initiative Christy Schwundeck, 15.02.2012:

Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Totschlags im Falle um Christy Schwundeck wird eingestellt!

Das Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Totschlages gegen die Polizistin, die am 19.05.2011 Christy Schwundeck im Job Center Frankfurt durch einen Schuss getötet hat, ist gem. § 170 Abs. 2 eingestellt worden.

Die Staatsanwaltschaft begründet diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich nach Auswertung aller Zeugenaussagen kein hinreichender Tatverdacht bezüglich der Begehung einer Straftat ergeben habe. Vielmehr habe die Beschuldigte eine zulässige Notwehrhandlung gem. § 32 StGB vorgenommen. Die Verteidigungshandlung sei u.a. deshalb notwendig gewesen, weil Christy unkontrolliert mit einem Messer um sich schlagend agiert habe und trotz Aufforderung, das Messer niederzulegen, nicht davon abgelassen habe. Die Handlung stehe auch im Verhältnis zu der drohenden Gefahr und um diese abzuwenden.

Der Bruder der Getöteten lässt die Voraussetzungen einer Beschwerde gegen die Einstellungsentscheidung des Gerichts derzeit prüfen.

Die Initiative Christy Schwundeck ist zutiefst empört über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Polizistin und fordert nach wie vor, dass es im Fall um Christy Schwundeck zu einem Gerichtsverfahren kommt und unterstützt den Bruder von Christy Schwundeck bei möglichen weiteren rechtlichen Schritten.

Aufklärung und Gerechtigkeit!“

 

 

Arbeitskreis Christy Schwundeck, 15.02.2012:

Persilschein für Polizisten nach Todesschuss im Jobcenter?

Verfahrenseinstellung sorgt für Unmut bei Hinterbliebenen

Knapp 9 Monate ist es her, dass Christy Schwundeck, eine Deutsche mit schwarzer Hautfarbe, am 19.05.2011 in den Räumen eines frankfurter Jobcenters unter ungeklärten Umständen von der Polizei erschossen wurde, nachdem sie zuvor einen Beamten erheblich mit einem Messer verletzt hatte.

Nach diesen tragischen Ereignissen hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamtin kürzlich lautlos eingestellt. Ihrer Ansicht nach hat die Beamtin bei dem Gebrauch ihrer Waffe richtig gehandelt.

Arbeitskreis spricht von ‚Ermittlungsinzest‘

Mitglieder des ‚Arbeitskreis Christy Schwundeck‘, eine Bürgerinitiative, die gemeinsam mit Angehörigen der getöteten Frau an der restlosen Aufklärung des Vorfalls vom letzten Mai arbeiten, sprechen von einem ‚besonders schweren Fall von Ermittlungsinzest‘. Wenn in einem öffentlichen Gebäude ein Mensch von der Polizei erschossen wird, dann müsse das auch öffentlich aufgeklärt werden. Im Hinblick auf die Tatsache, dass bei einem Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte ein Staatsanwalt gegen seine eigenen Beamten ermitteln muss, könne ein Staatsanwalt überhaupt nicht unparteiisch agieren. In solchen Fällen müsse vielmehr unbedingt ein Gerichtsverfahren stattfinden.

Wut und Trauer bis heute

Frau Schwundeck hinterliess einen Ehemann und eine 12-jährige Tochter, ihr Bruder lebt in London, ihre Eltern in Nigeria. Ihr Tod durch eine Polizeikugel hat vor allem unter schwarzen Menschen in Frankfurt und darüber hinaus mehr als nur subtile Ängste ausgelöst.

Nicht nur die Familie, sondern auch Erwerbsloseninitiativen und afrikanische Verbände haben vom ersten Tag an ihr Interesse an der Aufklärung bekundet und stehen in Verbindung mit dem ‚Arbeitskreis Christy Schwundeck‘ um auf dem Laufenden zu bleiben. Einige Mitglieder des Arbeitskreises haben Ende letzten Jahres die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft eingesehen und sich ausführlich damit beschäftigt. Ihrer Aussage nach seien die Inhalte der Ermittlungsakte so unvollständig und widersprüchlich, dass man auch nach dem Lesen eigentlich garnichts wisse.

‚Sowas kann man doch nicht einfach zumachen!‘

Peter Schwundeck, der Ehemann des Opfers, hat spontan angekündigt, dass er mit Unterstützung seines Rechtsanwaltes und des frankfurter Arbeitskreises Beschwerde einlegen und somit eine Eröffnung der Hauptverhandlung erzwingen will. Auch der Bruder von Frau Schwundeck hat nach längerer Überlegung inzwischen einen Anwalt beauftragt und wird sich dem Verfahren anschliessen.

Der Ehemann ist bestürzt, dass zu dem Verlust seiner Frau oben drauf auch noch die ‚ganze Kälte des Staatsapparates‘ käme. Niemand von offizieller Seite habe sich bei ihm entschuldigt oder sein Bedauern bekundet, wie man das in einem Rechtstaat eigentlich erwarten könne. Hilfe bekam er nach dem Tod seiner Frau nur von Privatpersonen, während er sich bei den Sozialbehörden einem regelrechten Spiessrutenlauf ausgesetzt sah und von Pontius nach Pilatus geschickt wurde als er einen Beerdigungskostenzuschuss beantragen wollte.

‚Wegen 10 Euro Arbeitslosengeld wurde meine Frau erschossen und jetzt soll das nicht mal vor Gericht?‘ fragt Schwundeck, ‚Sowas kann man doch nicht einfach zumachen!‘ Er werde konsequent den Rechtweg gehen um die Umstände des Todes seiner Frau gerichtlich aufklären zu lassen, das sei er seiner Frau und deren Familie einfach schuldig.“

„Sambizanga“ online

„Sambizanga“, einer der bekanntesten Filme über den antikolonialen Befreiungskampf in Angola, ist seit Januar auf YouTube zu sehen. Der Film entstand 1972 und handelt von der Angolanerin Maria Xavier, die sich auf die Suche nach ihrem von der kolonialen Geheimpolizei verschleppten Mann Domingos macht. Die Regisseurin, Sarah Maldoror aus Guadeloupe, hatte enge Verbindungen zum antikolonialen Widerstand in Angola und konnte Mitglieder angolanischer und kongolesischer Befreiungsbewegungen als Laiendarsteller/innen gewinnen:

http://www.youtube.com/watch?v=TVXWIBmjkSg

Offener Brief zu Polizeigewalt bei der Demonstration im Gedenken an den 7. Todestag von Oury Jalloh

Wir verurteilen hiermit aufs Schärfste das massive gewalttätige Vorgehen der Polizei bei der Demonstration im Gedenken an Oury Jalloh in Dessau am 7. Januar 2012. Darüber hinaus fordern wir eine lückenlose Aufklärung der Verstrickungen staatlicher Institutionen in die Vertuschung und Beförderung rechter Gewalttaten bzw. rechter Tendenzen in der Polizei.

Bei der friedlichen Demonstration in Gedenken an den 7. Todestag des in Polizeigewahrsam in Dessau verbrannten Afrikaners Oury Jalloh kam es am Samstag den 07.01.2012 zu heftigen Gewaltausbrüchen von PolizeibeamtInnen. Zahlreiche DemonstrantInnen wurden durch Schläge und den Einsatz von Pfefferspray verletzt. Die führenden Aktivisten der Oury-Jalloh-Kampagne Komi Edzro, Mbolo Yufanyi und Mouctar Bah gerieten besonders ins Visier der Beamten. Mouctar Bah, Initiator der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«, wurde mehrmals von der Polizei in Gesicht und auf den Kopf geschlagen bis er schließlich bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, wo er stationär behandelt wurde.

Die Polizei begründete die gewalttätigen Eingriffe damit, dass die Verwendung des Begriffs »Oury Jalloh, das war Mord« einen Straftatbestand darstelle. Bereits im Vorfeld der Demonstration hatten Beamte Herrn Bah als Anmelder der Demonstration aufgesucht und ihm gedroht, dass er für jegliche Verwendung des Wortes Mord im Zusammenhang mit dem Fall Oury Jalloh zur Verantwortung gezogen werde. Diese Vorgehensweise der Polizei entbehrt jeglicher juristischen Grundlage. Wie die Mitteldeutsche Zeitung (MDZ) schreibt, hatte bereits im Jahr 2006 das Magdeburger Oberverwaltungsgericht mit Verweis auf die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit entschieden, dass dieser Satz keine Beleidigung, Verleumdung oder ähnliches darstelle (MDZ, 09.01.2012). Auf die Aufforderung der vor Ort anwesenden Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, konnte keiner der anwesenden PolizistInnen einen gerichtlichen Beschluss in der Sache vorlegen.

Dieser willkürliche und brutale Übergriff von PolizeibeamtInnen ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass auch in Deutschland selbst grundlegende Rechte – insbesondere gegenüber Schwarzen Menschen – oftmals vollständig ignoriert werden.

Der Fall Oury Jallohs selbst kann als Präzedenzfall dafür herangezogen werden, wie Polizei und Justiz Hand in Hand dafür sorgen, dass Polizeigewalt vertuscht wird und straflos bleibt. Dies erkannte auch der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff in seiner Urteilsbegründung zum Fall Oury Jalloh, die mit einem vorläufigen Freispruch der beschuldigten Beamten endete. „Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun“, sagte er und beschwerte sich über fehlerhafte Ermittlungen und offensichtliche Falschaussagen von als Zeugen einberufenen Polizeibeamten (AFP, 07.12.2008). Da der Bundesgerichtshof die Urteilsbegründung und Beweisführung ebenfalls anzweifelte befindet sich der Fall derzeit in Revision. Das Vorgehen der Polizei bei der Demonstration am 07.01. gegenüber den führenden Aktivisten der »Initiative im Gedenken an Oury Jalloh«, die eine vollständige Aufklärung des Falles fordert, lässt sich vor diesem Hintergrund nur als Einschüchterungsversuch interpretieren.

Hinzu kommt, dass schon in der Vergangenheit gerade das sehr bedenkliche Verhalten der Dessauer Polizei und des Staatsschutzes in Sachsen-Anhalt rechte Gewalttaten deckte und damit förderte. Schon vor dem Fall Oury Jalloh war das Dessauer Polizeirevier polizeiintern in Kritik geraten, weil es vor allem Schwarze Menschen schikanierte. Um einen Imageschaden zu vermeiden, wurde das Revier angewiesen, »das polizeiliche Vorgehen gegen MigrantInnen auf ein Notwendiges« zu beschränken. Ermittlungen gegen Beamte folgten nicht. Auch die so genannte »Staatsschutzaffäre« in Sachsen-Anhalt im Jahr 2007 lässt an einem ernsthaften Aufklärungsinteresse rechter Gewalttaten zweifeln. Damals hatte Dessaus Polizeivizepräsident Hans-Christoph Glombitza in einer Besprechung drei Staatsschützern mitgeteilt, dass sie ja »nicht alles sehen« müssten. Die durch ihre Ermittlungserfolge im neonazistischen Milieu bekannt gewordenen rechten Umtriebe in Dessau würden das Sicherheitsbedürfnis der Menschen empfindlich stören und auch kein gutes Licht auf das Land Sachsen-Anhalt werfen.

Anstatt das Land durch Vertuschung vor angeblichen Imageschäden schützen zu wollen, ist es an der Zeit politisch sowie juristisch alle möglichen aufklärenden Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts der sich wiederholenden Skandale um Polizei und Verfassungsschutz, zuletzt ihre Verstrickungen im Fall des Nationalsozialistischen Untergrundes, müssen sich die staatlichen Institutionen dem verstärkten Eindruck einer Zusammenarbeit von staatlichen Akteuren und Neonazis entschieden entgegenstellen, wollen sie nicht jegliche demokratische Glaubwürdigkeit verlieren.

Wir fordern Justiz, Polizei und das Innenministerium von Sachsen-Anhalt, sowie sämtliche Politiker_innen in Bund und Ländern zu einer vollständigen Aufklärung von Polizeigewalt auf. Die Straflosigkeit von Polizeibeamten in Deutschland muss ein Ende haben. Wir fordern unabhängige Ermittlungskommissionen sowie ein Ende von Rasterfahndung und anderen rassistisch begründeten Schikanen!

In diesem Sinne: Brecht das Schweigen! (Slogan der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.)

Initiative »Faites votre jeu!«

Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main

frankfurt postkolonial

Solidarität mit der Senegalesischen Vereinigung

Im November 2011 hat die Stadt Frankfurt entschieden, dass das Afrikanische Kulturfest 2012 nicht mehr im Rödelheimer Solmspark stattfinden darf. Die Senegalesische Vereinigung, die das Fest seit sechs Jahren veranstaltet, nimmt an, dass die Begründung der Nicht-Genehmigung (angebliche Beschwerden von Anwohner/innen) nur vorgeschoben ist. Das Afrikanische Kulturfest ist nicht zuletzt ein Forum für antirassistische Kritik. In den vergangenen Jahren hat es Fälle rassistischer Gewalt und auch das Mitwirken staatlicher Institutionen wie der Polizei an Rassismus und Diskriminierung thematisiert. Solche Veranstaltungen im Rahmen des Kulturfests hat die Stadt Frankfurt bereits in der Vergangenheit von der Förderung ausgenommen. Und schon 2010 hatte ein Referent des Kulturamts angedeutet, dass das Fest wegen „Kritik an der Staatsgewalt“ zukünftig nicht mehr genehmigt würde.

Wir unterstützen die Forderung der Senegalesischen Vereinigung nach einem angemessenen Ort für das Afrikanische Kulturfest 2012. Angemessen kann nur ein Ort sein, der es ermöglicht, das Fest innenstadtnah, in der Größenordnung der Vorjahre und entsprechend ihrer programmatischen Vorstellungen zu realisieren. Die Senegalesische Vereinigung hat mit dem Afrikanischen Kulturfest ein bedeutendes Forum für kulturellen Austausch und antirassistische Kritik geschaffen, das Unterstützung verdient, nicht Behinderung. Die Ausnahme politischer Programminhalte von der städtischen Förderung verurteilen wir als einen Versuch des Kulturamts, mittelbar Einfluss auf die Programmgestaltung auszuüben.

frankfurt postkolonial, im Januar 2012

Bezirksausschuss von Trudering lehnt Zuschuss ab – Kein Nachdruck der Broschüre »Münchens Kolonialviertel«

Der Bezirksausschuss Trudering-Riem (BA 15) hat mit “interessanten” Argumenten einen Antrag des Nord Süd Forum München e.V. für die Finanzierung des Nachdrucks der Broschüre zu Münchens Kolonialvierteln abgelehnt.

Offener Brief des ersten Vorsitzenden des Nord Süd Forum München e.V., Heinz Schulze, an den BA 15

Bericht über die entsprechende BA-Sitzung im Münchner Wochenanzeiger

 

Mythen vom Chinesen-Maier

Der brutale Krieg einer multinationalen Kolonialarmee in China 1900/01 wurde als zivilisatorische europäische und nationale Mission bejubelt. Die Vereine der Kolonialkriegsveteranen spielten noch Jahrzehnte nach Verlust der Kolonien eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung sowohl militärischer Mythen als auch kolonialer Propaganda.

Von Martin W. Rühlemann [muc]

„Der Chinesen-Maier hat Geburtstag“ war die Überschrift eines Artikels im Münchner Merkur am 21. März 1964. Dass der von seinen Freunden so betitelte „rüstige alte Herr“ aus dem Münchner Westend an der Niederwerfung des Boxeraufstandes in China teilgenommen hatte und nun seinen 85. Geburtstag feierte, stand dort weiter zu lesen. 1900/01 kämpfte er als junger Mann in der bayerischen Abteilung des 4. Ostasiatischen Infanterie-Regiments an der Seite einer multinationalen Kolonialarmee: „der Amerikaner, der Franzos’, der Japanes’, der Türk’ und der Engländer“ waren an dieser Streitmacht beteiligt, erzählte der „einstige Chinakrieger“ und spätere Münchner Bezirkskaminkehrermeister, was den Autor des Münchner Merkur an „eine Art vorzeitiger UN“ denken ließ.

Mission: christliche Expansion

Tatsächlich hatten sich 1900 etliche Kolonialmächte – darunter auch Russland, Italien und Österreich-Ungarn – verbündet, um China mit einem für diese Zeit neuartigen multinationalen Militäreinsatz zu zwingen, sich entsprechend der westlichen Vorstellungen und Regeln zu verhalten. Die imperialistischen Mächte Europas hatten sich im „Kampf für die Sache der Zivilisation und des Christentums“ vereinigt gegen „fremdenfeindliche Boxer und Chinesen“, so lautete die zeitgenössische Propaganda. Der Name „Boxer“ leitet sich von einer Gruppe ab, die an die Traditionen verschiedener
Faustkampfschulen anknüpfte.

Das chinesische Kaiserreich war keine Kolonie im klassischen Sinne, vielmehr sicherten sich die verschiedenen Kolonialmächte ihren Einfluss durch kleine Stützpunktkolonien. Schon 1889 war die Deutsch-Asiatische Bank gegründet worden. Den Zugang zum chinesischen Markt sicherte sich das Deutsche Reich 1897, als deutsche Truppen die nordchinesische Bucht von Kiautschou mit dem Hafen Tsingtau besetzten und die Region formal für 99 Jahre pachteten. Die 50-Kilometer-Zone um die Bucht wurde später zur „Musterkolonie“ erklärt. Die Inbesitznahme der neuen Kolonie traf in Deutschland auf breite Zustimmung. Damit erklärte die Abteilung München der Deutschen Kolonialgesellschaft etwa auch den Anstieg ihrer Mitgliederzahlen 1897/98.

Boxerkrieg 1900/01

Seit Sommer 1898 nahmen die Spannungen unter der bäuerlichen Bevölkerung Nordchinas zu. Hungersnöte und Auflösungsprozesse der traditionalen chinesischen Gesellschaftsordnung, vorangetrieben durch aggressive christliche Missionierung führten dazu, dass sich ab 1899 die soziale Bewegung der Boxer schnell in einigen Provinzen Nordchinas ausbreitete.Sie richtete sich hauptsächlich gegen die wirtschaftliche Betätigung von Nicht-Chinesen, aber auch gegen Chinesen christlichen Glaubens. Dem Widerstand der bäuerlich geprägten Boxerbewegung gegen die Kolonialmächte schloss sich, nach anfänglichem unentschlossenem Vorgehen gegen die Aufständischen, auch die chinesische Regierung am 21. Juni 1900 an.

Demütigungen und Massaker

Die folgende 55-tägige Belagerung des Gesandtschaftsviertels in Peking durch Boxer und chinesische Soldaten dauerte bis zum 14. August. Nachdem Peking erobert, in einer Gewaltorgie geplündert und ganze Stadtviertel niedergebrannt worden waren, begannen die multinationalen Truppen militärische Strafexpeditionen gegen die Bevölkerung durchzuführen. Grobe Schätzungen gehen von 100.000 Menschen aus, die allein in Peking getötet worden sind. Der kaiserliche Hof hatte
Peking verlassen und die chinesische Armee die Kampfhandlungen eingestellt. Graf von Waldersee, der deutsche Oberbefehlshaber der internationalen Armee, forcierte ab September die Strafexpeditionen, um Mitglieder der besiegten Boxer aufzuspüren. Bei den Expeditionen wurden ganze Städte und Dörfer niedergebrannt, in den schlimmsten Fällen endeten sie in Massakern. An 35 von 53 Militärexpeditionen, die zwischen Dezember 1900 und Mai 1901 stattfanden, nahmen ausschließlich deutsche Truppen teil, die von der chinesischen Bevölkerung als besonders brutal und grausam wahrgenommen wurden. Im September 1901 musste die chinesische Regierung dann einen Vertrag unterzeichnen, der neben demütigenden Regelungen auch hohe Entschädigungszahlungen an die beteiligten acht Staaten vorsah.

Heimatfront

„Der Kampf mit den Boxern war sehr hart“, erinnerte sich der Münchner „Chinakrieger“ 1964. Als letzte Andenken präsentierte er einen „winzigen Schuh” und „eine verblichene chinesische Geldbörse und eine Schärpe“.Das deutsche Ostasiatische Expeditionskorps bestand aus Freiwilligen des Heeres, die zusammen mit Marinesoldaten und in der deutschen Kolonie Kiautschou stationierten Soldaten über 20.000 Mann der knapp 90.000 alliierten Soldaten ausmachten. Die Anzahl der Freiwilligen war angeblich weit größer als der Bedarf gewesen. Die sozialdemokratische Münchener Post behauptete allerdings, dass viele Soldaten des bayerischen Bataillons sich nicht freiwillig gemeldet hätten, was zu empörten Angriffen gegen die „vaterlandslose Presse“ führte. Ebenso wurden die ersten Berichte über Plünderungen der multinationalen Truppe während der Rekrutierungsphase im Juli aufgeregt zurückgewiesen: „denn es ist bei der deutschen Disziplin […] völlig ausgeschlossen, dass deutsche Mannschaften an solch ehrlosen Treiben theilgenommen haben! […] Sollte sich die Meldung der Plünderung Tientsins bestätigen, dann wäre das Ansehen der
‚zivilisirten’ Mächte auf das Schwerste geschädigt“, stellten die Münchener Neuesten Nachrichten (MNN) am 25. Juli 1900 fest.

Ausverkauft! Ein Volksfest der Kriegsbegeisterten

Die Verabschiedungen der deutschen Soldaten waren überschwänglich gefeierte nationale Ereignisse. Die Züge, die die künftigen „Kolonialkrieger“ aus ganz Deutschland in die Hafenstädte brachten, waren mit rassistischen Karikaturen von Chinesen und Aufschriften wie „Pardon wird nicht gegeben!“ oder „Li Hungtschang Du ahnst es nicht!“ versehen. In München sorgte der von Kapellen begleitete Marsch des bayerischen Bataillons von der Max-II-Kaserne zum Laimer Bahnhof am 3. August um zwei Uhr morgens für einen nächtlichen Volksauflauf. Nach einem Bericht der MNN säumten Menschenmassen mit Laternen den Weg, alle Gasthäuser auf dem Weg waren dicht mit Gästen besetzt und im „Kurgarten“
wurde ein Feuerwerk abgebrannt. Die Menge verabschiedete die „Chinakrieger“ am Laimer Tunnel. Am Bahnhof selbst waren Eintrittskarten für 1.300 Personen ausgegeben worden, die die Abfahrt des Sonderzuges mit 40 Wagons nach Bremerhaven bejubelten. Passend zur Kriegsbegeisterung publizierte der Münchner Bruckmann-Verlag ein Album mit Porträts der Offiziere und Ärzte des bayerischen Kontingents, das für zwei Mark in allen Buchhandlungen zu erwerben war. Des Weiteren wurde ein „Bayerisches Hilfskomitee für Ostasien“ ins Leben gerufen, um die deutschen Truppen in China durch reichhaltige Spenden zu unterstützen.

Lyrikpropaganda

Auch der Münchner Stadtarchivar Ernst von Destouches begeisterte sich in seinem Gedicht „Die China-Heerfahrt“ für die koloniale Sache. Er dichtete den Kriegszug als heilige, christliche Mission. Überhaupt scheint die Beteiligung bayerischer Soldaten an dem Kriegszug einige Zeitgenossen zum Dichten animiert zu haben. Felix Dahn, Erfolgsautor aus Hamburg, versuchte nach Meinung von Yixu mit dem Gedicht „Bayerischer Hunnenbrief“ den Sieg des Deutschen Reiches im deutsch-französischen Krieg 1870 bei Sedan „nach China zu verpflanzen“. „Der bescheidene Beitrag der deutschen Streitkräfte […]“, so Yixu, „wurde in der Populärliteratur zu einer zweiten Sedan-Schlacht aufgebauscht, so dass die Aura eines großartigen militärischen Triumphes Deutschlands Taufe als Kolonialmacht umgab.“ Kritik an der menschenverachtenden Kriegsführung des deutschen Militärs gab es von sozialdemokratischer Seite. Ab August 1900 veröffentlichte der Vorwärts Briefe deutscher Soldaten an ihre Angehörigen, die auch das äußerst brutale Vorgehen gegen chinesische Gefangene und Zivilisten schilderten. Etliche Redakteure sozialdemokratischer Zeitungen, in denen die sogenannten „Hunnenbriefe“ erschienen, wurden angeklagt und auch verurteilt.

Der Kampf mit dem Iltis

Die Berichterstattung über China war schon vor dem Krieg geprägt von negativen Stereotypen und Klischees, die ein europäisches Überlegenheitsgefühl und Rassismus zum Ausdruck brachten. Die Auswertung von Feldpostbriefen aus China bestätigt, dass viele deutsche Soldaten schon fertige Bilder wie etwa das vom verschlagenen und hinterlistigen Chinesen mit sich herumtrugen. Auch das Reden von der „gelben Gefahr“ stammt aus dieser Zeit, weckte das riesige Land mit der großen Bevölkerung doch Begehrlichkeiten als ökonomisches Expansionsgebiet und Ängste zugleich. Einige Ereignisse des Krieges wurden zu ruhmvollen, heldenhaften Taten deutscher Soldaten verklärt: Am Angriff auf die den Zugang nach Peking sichernden „Dagu-Forts“ an der Küste am 17. Juni 1900 beteiligte sich das deutsche Kanonenboot „Iltis“. Die Eroberung der Festung wurde im Deutschen Reich euphorisch gefeiert und es gab seitenlange Berichte über die Rolle des Kanonenbootes bei den Kämpfen. Noch heute loben rechte Kreise die Eroberung als nationale Heldentat. In München-Trudering erinnern seit 1933 die Taku-Fort-Straße und die Iltisstraße an die deutsche Beteiligung, wobei die Erläuterung der Iltisstraße später offiziell geändert wurde: Heute ist sie nach dem „heimischen Raubtier Iltis aus der Familie der Marder“ benannt.

„The Germans To The Front!“

Ein weiterer Mythos des Boxerkriegs war der angebliche Ruf des britischen Admirals Seymour: „The Germans To The Front“, der in Deutschland so interpretiert wurde, als sei das deutsche Truppenkontingent wegen besonderer Tapferkeit nach vorne beordert worden. Tatsächlich versuchte eine multinationale Einheit unter britischer Führung im Juni 1900 Peking vorzustoßen, musste sich aber bald zurückziehen. Erst der Befehl zum Umdrehen beförderte vermutlich die deutschen Soldaten an die Spitze. Vor allem das massenhaft reproduzierte Gemälde „The Germans To The Front“ (1902) von Carl Röchling als Postkarte verbreitete in den Folgejahrzehnten die Deutung des Befehls als Anerkennung des Mutes und der Bestätigung des deutschen Strebens nach „Weltgeltung“ durch das mächtige britische Empire. Besonders im Zuge des Kampfes gegen die sogenannte „Kolonialschuldlüge“ in den 1920er Jahren wurde das Bild wieder aktuell.

Die „Kolonialschuldlüge“

In den Jahren der Weimarer Republik sank zwar die Mitgliederzahl kolonialer Gruppen, aber dennoch hielten sie eine erstaunliche Aktivität aufrecht. Erklärbar ist dies nur vor dem Hintergrund der populären Kampagne gegen die sogenannte „Kolonialschuldlüge“ und für die Rückgabe der „geraubten“ Kolonien. Deutschland musste im Versailler Vertrag 1918 alle Kolonien abgeben, mit der Begründung, das Land hätte sich als unfähig zum Führen von Kolonien erwiesen. Zudem herrschte Deutschland grausam und schlecht in den Kolonien. Vor allem den Vorwurf, die Deutschen wären nicht fähig gewesen, Kolonien zu betreiben, empfanden weite Kreise der Gesellschaft als Demütigung. Zur Widerlegung der Vorwürfe erschienen in den 1920er Jahren zahlreiche Publikationen, Romane, Erinnerungsbücher oder Filme, die ein idyllisches Bild der grausamen Kolonialherrschaft zeichneten. Diese massive Propaganda prägte in
Folge lange das Selbstbild der Deutschen als „gute Kolonisatoren“.

Münchens Kolonialkrieger – Münchens Kolonialstraßen

Die ehemaligen Kolonialsoldaten trugen nicht unwesentlich zu dieser Propaganda bei. Die „Kriegerschaft“ war eine der aktivsten Organisationen in München. Sie pflegte nicht nur Erinnerungen an die Kolonialkriege, sondern engagierte sich auch für die Rückgabe der Kolonien und popularisierte weiterhin koloniale Phantasien. 1926 feierten die ehemaligen „Kolonialkrieger“ im Rahmen eines Kolonialgedenktages ihr 25-jähriges Bestehen in Anwesenheit des bayrischen Innenministers und Polizeipräsidenten. Die Ansprache hielt am Abend der berüchtigte Kolonialveteran und „Chinakrieger“, Freikorpsgründer und Putschist Ritter Franz Xaver von Epp in seiner Funktion als Ehrenpräsident der „Kriegerschaft deutscher Kolonialtruppen München“. An den Gedenktagen, die die „Kolonialkrieger“ veranstalteten, nahm immer viel Prominenz teil und auch wenn die einzelnen Organisationen zahlenmäßig nicht besonders stark waren, hatte die koloniale Bewegung doch einen beträchtlichen gesellschaftlichen Einfluss: Die Benennung von Straßen und Plätzen in unzähligen deutschen Städten nach Namen aus den ehemaligen deutschen Kolonien in den 1920er Jahren erfolgte beispielsweise nicht zuletzt durch anhaltenden Lobbyismus der kolonialen Gruppen. In München wurden ab 1925 Straßen mit Namen der „verlorenen“ Kolonien und nach Kolonialpolitikern und -militärs versehen, zuerst im Münchner Westen und 1932 in München-Zamdorf. Mit der Ehrung von grausamen Kriegsherren wie Hans Dominik
oder Hermann von Wißmann wurde der positive Blick auf koloniale Machtverhältnisse offiziell festgeschrieben.
Der Einfluss der Kolonialrevisionisten zeigte sich auch anlässlich der kolonialen Straßenbenennungen
bei der Eingemeindung Truderings 1932/33. 1964 lebten außer ihm noch drei China-Veteranen in München, erzählte der „Chinesen-Maier“. Er gehörte der Vereinigung der „Kolonial-Kameraden“ in München an. Die „Kolonialkrieger“ sind inzwischen längst verstorben. Die hitzige Debatte um die Umbenennung der Münchner „Kolonialstraßen“ vor einigen Jahren weist aber darauf hin, dass ein Bewusstsein über Deutschlands koloniale Verbrechen nach wie vor kaum verbreitet ist.<

Erschienen im Hinterland Magazin, Nr. 18, S. 63-66.

Und hier gibt es eine ausführliche Version des Artikels mit allen Belegen, Fußnoten etc.

Array