Am 12.12. waren die Herero-Aktivistin Esther Muinjangue und die Nama-Aktivistin Sima Luipert zu Besuch in München. Sie hatten ein volles Programm. U.a. fanden Treffen mit Studierenden der LMU und mit dem Museum Fünf Kontinente statt. Nachmittags haben wir an der Straßenecke Hererostraße/ Waterbergstraße in München-Trudering gemeinsam für die Umbenennung der Kolonialstraßen demonstriert.
Sima Luipert, die Urgroßnichte von Cornelius Fredericks, trug ein Straßenschild mit einem konkreten Alternativvorschlag – eine Straße sollte nach ihrem Urgroßonkel benannt werden. In einer bewegenden Rede wies sie darauf hin, dass der Schädel von Fredericks sich noch in Deutschland befinde, sie wisse aber nicht, wo. Bis er beerdigt sei, können weder die Seelen der Opfer noch die der Täter zur Ruhe kommen, sagte sie. Wir sagen NEIN zu Straßen, die Namen von Rassisten und Mördern tragen!
Abends fand eine öffentliche Veranstaltung im Saal des Münchner Stadtmuseums statt. Gemeinsam mit zahlreichen Besucher*innen forderten die Aktivistinnen die Umbenennung der Münchner Kolonialstraßen.
Am 12.12. waren die Herero-Aktivistin Esther Muinjangue und die Nama-Aktivistin Sima Luipert zu Besuch in München. Sie hatten ein volles Programm. U.a. fanden Treffen mit Studierenden der LMU und mit dem Museum Fünf Kontinente statt. Nachmittags haben wir an der Straßenecke Hererostraße/ Waterbergstraße in München-Trudering gemeinsam für die Umbenennung der Kolonialstraßen demonstriert.
Sima Luipert, die Urgroßnichte von Cornelius Fredericks, trug ein Straßenschild mit einem konkreten Alternativvorschlag – eine Straße sollte nach ihrem Urgroßonkel benannt werden. In einer bewegenden Rede wies sie darauf hin, dass der Schädel von Fredericks sich noch in Deutschland befinde, sie wisse aber nicht, wo. Bis er beerdigt sei, können weder die Seelen der Opfer noch die der Täter zur Ruhe kommen, sagte sie. Wir sagen NEIN zu Straßen, die Namen von Rassisten und Mördern tragen!
Abends fand eine öffentliche Veranstaltung im Saal des Münchner Stadtmuseums statt. Gemeinsam mit zahlreichen Besucher*innen forderten die Aktivistinnen die Umbenennung der Münchner Kolonialstraßen.
(aktualisierte Version eines Textes, den wir bereits 2011 auf diesem Blog veröffentlicht hatten)
Gut gebrüllt, denkt sich der Betrachter beim Anblick der Löwin, die vor der Tierärztlichen Fakultät in der Veterinärstr. 13 steht. Die wuchtige Bronzeplastik stammt von dem über viele Jahrzehnte in München ansässigen Bildhauer Fritz Behn. Die bayerische Metropole beherbergt weitere Werke des Künstlers, so im Tierpark Hellabrunn, wo ebenfalls eine Löwenfigur steht. In den Beständen der Städtischen Galerie im Lenbachhaus finden sich die Kleinplastiken eines „Afrikaners“ und eines „Massai“.[1]
Die
Inspiration für diese und viele weitere Werke erhielt Behn auf seinen Reisen, die er nach „Deutsch-Ostafrika“
unternommen hatte. Über dessen Expeditionen in der Kolonie erschien in der
Zeitschrift ‚Kolonie und Heimat’ im Jahr
1911 ein Artikel.[2] In dem „Koloniale
Plastik“ betitelten Bericht heißt es, Behn habe auf seinen Reisen die „koloniale Tierwelt“ in ihrer Freiheit
und Wildheit erleben können. Neben Abbildungen seiner bronzenen Tierplastiken
wird dem Leser auch ein Blick in sein Münchener Atelier gewährt. Die Aufnahme
mit Gipsabgüssen von Nashörnern, Büffeln und Antilopen zeigt, wie die Fremde,
hier in Gestalt der afrikanischen Großtierfauna, Einzug in dessen
Künstlerwerkstatt gehalten hat.
Die Rezeption der Werke von Fritz Behn als „koloniale“ Kunst wirft
Fragen auf. Welche Rolle spielte der Bildhauer innerhalb der deutschen
Kolonialbewegung und ganz allgemein, welche Rolle kam der bildenden Kunst im
Kontext des Kolonialismus zu?[3] Was Letzteres betrifft, so ist
diesem Gegenstand – ganz im Gegensatz etwa zur Literatur – bisher in der kunst-
und kulturhistorischen Forschung vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt
worden. Schaut man in das Buch „Orientalism“
(1978) von Edward W. Said, dem Gründungsdokument postkolonialer Theoriebildung,
so bleiben dort die bildenden Künste unberücksichtigt.[4] Anlass über das
Verhältnis von Kunst im Kolonialismus nachzudenken, bot die Ausstellung „Artist
and Empire“, die zur Jahreswende 2015/16 in der Tate Britain in London gezeigt
wurde.[5] Zuletzt sind einige der afrikanischen Plastiken von Behn
in der Ausstellung „Inspiration Afrika. Ein Kontinent im Blick der deutschen
Bildhauerei im 20. Jahrhundert“ im Kunsthaus Dahlem in Berlin zu sehen gewesen.[6] Die Berliner Ausstellung interessierte sich nicht für die
schon vielfach diskutierte Rezeption des Primitivismus in der europäischen
Moderne, sondern konzentrierte sich auf die Art und Weise, wie Künstler
„Afrika“ wahrnehmen, fiktionalisieren oder ästhetisieren. Postkoloniale Fragestellungen bedeuten nicht nur für die
Geschichtswissenschaft, sondern auch für die Kunstgeschichtsschreibung eine
Grundlagenreflexion, ist sie doch „bis in die Gegenwart hinein eng mit
kolonialistischen Ordnungsmustern, Wertungen und Repräsentationsformen
verknüpft.“[7] Für eine noch in den Anfängen steckende Dekolonisierung der
visuellen Kultur hat Viktoria Schmidt-Linsenhoff mit ihrer „Ästhetik der
Differenz“ wichtige Anregungen gegeben.[8]
Fritz Behn (1878 in Klein Grabow, Mecklenburg-Vorpommern – 1970 in München) gehört zu den
profiliertesten deutschen Tierbildhauern des 20. Jahrhunderts.[9] Schon im Alter von 31 Jahren war er vom bayerischen Prinzregenten Luitpold zum damals
jüngsten Professor Bayerns ernannt worden. Die Tierwelt Afrikas stand zeitlebens im Mittelpunkt seines
künstlerischen Schaffens. Auf drei ausgedehnten, in den Jahren 1907/08, 1909/10
und 1931/32 unternommenen Reisen durch Deutsch-Ostafrika (heute Tansania,
Ruanda und Burundi) und Britisch-Ostafrika (heute Kenia) studierte er ausgiebig
die afrikanische Tierwelt. Die Behn’schen Expeditionen sind ein beredtes
Beispiel für den Eskapismus jener Tage. Wie
andere Künstler seiner Zeit hatte es ihn aus Europa mit seiner „organisierten
Überzivilisation“ in die Exotik der Tropen, in die „Wildnis zu den wilden
Menschen und Tieren“ hinausgezogen. Der „dunkle Kontinent“ erschien ihm
als Hort ungebrochener Vitalität und Ursprünglichkeit. Einmal mehr sollte der
Jungbrunnen „Afrika“ zur Erneuerung der ‚degenerierten’ Kultur des Westens
herhalten. Von dem auf den Reisen erlegten
Großwild fertigte er Gipsabgüsse, die er zu Studienzwecken in seinem Atelier
aufstellte. Behn hielt zeitweise sogar zwei Löwen
in seinem Gartenatelier in der Mandlstraße. Sein umfangreiches Oeuvre umfasst eine Vielzahl von Groß- und
Kleinskulpturen, Löwen, Leoparden, Antilopen, Büffel, Nashörner, Elefanten
darstellend, die Zeugnis von seinen afrikanischen Reisen ablegen. Behn
schwärmte: „Afrika ist vielleicht das Land der Bildhauer“. Die afrikanischen
Kolonien des deutschen Kaiserreichs sah er als „eine ungeheure Fundgrube für
die bildende Kunst, in gewisser Beziehung sogar für einen Jungbrunnen unserer Kunst.“[10]
Vor und nach dem Ersten Weltkrieg stellte sich der Künstler in den Dienst der deutschen Kolonialbewegung. Seit 1911 war er Mitglied in der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG), der führenden kolonialpolitischen Lobbyvereinigung im Deutschen Reich.[11] Die Zeitschrift ‚Der Kolonialdeutsche‘ schrieb im Jahr 1928 anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages über die Kunst von Behn, sie stehe „im Dienste der Kolonial-Idee“.[12] Nach Plänen von Behn wurde 1932 in Bremen das von der dortigen Ortsabteilung der DKG gestiftete „Kolonial-Ehrenmal“ errichtet. Das Monument in Gestalt eines über einer Krypta stehenden, fast 10 Meter hohen afrikanischen Elefanten sollte als Mahnmal, als ein Symbol für den anhaltenden Anspruch Deutschlands auf seine durch den Versailler Vertrag (1919) „geraubten“ Kolonialgebiete fungieren.[13] Die Inschrift lautete trotzig: „Unseren Kolonien“. Bei dem in der Hansestadt ausgeführten Denkmal handelt es sich um eine modifizierte Fassung desjenigen Entwurfs, den der Bildhauer 1913/14 für den Wettbewerb zur Errichtung eines Kolonialkriegerdenkmals in Berlin eingereicht und mit dem er seinerzeit den ersten Preis gewonnen hatte. Die Berliner Denkmalsplanungen waren jedoch infolge des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges nicht mehr zur Ausführung gelangt. Das Monument in Bremen war – neben dem von Adolf Kürle geschaffenen Wissmann-Denkmal in Hamburg – die zentrale Kultstätte in Deutschland, an der die Vertreter der Kolonialbewegung zusammenkamen, um öffentlichkeitswirksam neokoloniale Propaganda zu betreiben.[14]
Das kolonialpolitische Engagement von Behn kam in der Mitarbeit an einem weiteren ehrgeizigen Denkmalprojekt der kolonialrevisionistischen Bewegung zum Ausdruck, dem seit 1930 bei Eisenach geplanten „Reichskolonial-Ehrenmal“. Vorgesehen war ein raumgreifender Memorialkomplex, dessen Zentrum ein „Ehrenhof“ und ein „Mahnmal“ in Form eines als Palme stilisierten, dreißig Meter hohen Obelisken bilden sollte. Der Entwurf für den Obelisken stammte von Behn. Allerdings erwies sich in den folgenden Jahren die Beschaffung von Spendengeldern als nicht zu lösendes Problem, weshalb das von Anfang an überdimensionierte Eisenacher Denkmalprojekt nie über die Planungsphase hinausgelangte.
Behn betätigte sich zudem als Porträtist von
Persönlichkeiten aus der Kolonialpolitik: Darunter gehören eine Bronzebüste von
dem Staatssekretär des Reichskolonialamtes Wilhelm H. Solf, von Wilhelm Arning, Kolonialpolitiker und Leiter der Deutschen
Kolonialschule Witzenhausen oder eine Büste von Paul von
Lettow-Vorbeck, dem „Held von Ostafrika“ und Symbolfigur der deutschen
Kolonialbewegung in den 1920er und 1930er Jahren. Einzelne
seine Plastiken stellte Behn für Kolonialausstellungen zur Verfügung.
In seinen beiden Afrika-Büchern (‘Haizuru…‘ Ein Bildhauer in Afrika [1918]; Kwa Heri – Afrika! Gedanken
im Zelt [1933]), in denen Behn die
Erlebnisse seiner Reisen durch den „dunklen Erdteil“ schildert, äußerte er sich
auch zu kolonialpolitischen Fragen. Er vertrat einen rigiden Herrenstandpunkt:
Die koloniale Vorherrschaft der Europäer sei nur durch eine „strikte Trennung
zwischen Schwarz und Weiß“ aufrechtzuerhalten, „Rassenmischehen“ seien
abzulehnen. „Rassengefühl“, so Behn, „bedeutet hier, wie überall, alles. Unser
weißes Prestige allein setzt uns in den Stand, unsere Kolonien zu halten. Wie
können wir es sonst wagen, mit diesen paar Tausend Europäern, Millionen
Schwarzer im Zaume zu halten? Ein warnendes Beispiel sei uns Amerika, das
längst seine Humanitätsideen in der Negerfrage bereut.“[15] Bezeichnend für Behn als entschiedenen
Verfechter deutscher Kolonialpolitik ist dessen publizistischer Einsatz für den
durch seine Kolonialskandale kompromittierten Karl Peters („Hänge-Peters“), den
er jeglicher Vergehen frei sprach.[16] Beide waren miteinander
bekannt. Behn hatte Peters im Jahr 1906
bei einem Vortrag in München kennengelernt und war nach dieser Begegnung in
seinem Wunsch nach Afrika zu reisen, bestärkt worden. Freundschaftlich verbunden war Behn übrigens auch
mit dem Dachauer Künstlerpaar Walter von Ruckteschell und Clary von Ruckteschell-Trueb. Der Malerbildhauer Ruckteschell
ist während des Ersten Weltkrieges in Deutsch-Ostafrika der Adjudant von
General Paul von Lettow-Vorbeck gewesen.[17]
Ruckteschell war ebenso für die Kolonialbewegung tätig, er schuf das
Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal in Hamburg und das Deutsch-Ostafrika-Gedächtnismal
in Aumühle.
Dass Fritz Behn – der ebenso mit
Grabmälern, Brunnenanlagen, Kriegerdenkmälern, Personendenkmälern (u.a. das
Albert-Schweitzer-Denkmal in Günsbach/Elsaß) wie als Zeichner, Maler[18]
und Tierfotograf hervortrat – nach 1945 ignoriert und weitgehend in
Vergessenheit geriet, hängt vor allem mit dessen Werdegang in den Jahren der
nationalsozialistischen Herrschaft zusammen. Der in politischen Fragen
erzkonservative Behn, vertrat schon früh antidemokratische und national-völkische
Positionen. Nach Ausbruch der
November-Revolution 1918/19 und Gründung der Münchner Räterepublik hatte
Behn die Führung des sog. „Bayerischen
Ordnungsblocks“ inne, eine der
Katholischen Bayerischen Volkspartei nahestehende paramilitärische
Organisation. Im Jahr 1928 ist Fritz Behn
Mitunterzeichner des von dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg im Mai des
Jahres erlassenen Aufrufs zur Gründung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“. Ende
der 1920er Jahre ist er als „Gelegenheitsberichterstatter“ im Feuilleton des
NS-Kampfblattes ‚Völkischer Beobachter’ tätig. Als erklärter Anti-Modernist wetterte er
fortgesetzt gegen die avantgardistischen Strömungen und gegen das „Chaos der
Kulturzersetzung“.[19]
Behn war befreundet mit dem – ebenfalls
in München lebenden – Kulturphilosophen Oswald Spengler
(1880-1936). Spengler galt in den 1920er Jahre als
Graue Eminenz der süddeutschen Republikfeindschaft und intellektueller Stichwortgeber der sog. „Konservativen
Revolution“. Beide einte die – in
der deutschen Bourgeoisie weit verbreiteten – panischen Untergangsvisionen als
Folge der gehassten „schmutzigen
Revolution“ von 1918/19 und der Wunsch nach einem Herrschaftsstaat mit
starker Führerfigur. Im Monat
von Hitlers Machtübernahme votierte der Monarchist für die Wiedereinsetzung des
bayerischen Königshauses. Aus seiner Sympathie für die Diktatoren Europas
machte er keinen Hehl. Desavouierend bleibt das Buch, in dem Behn die
Entstehung seiner Mussolini-Büste schildert („Bei Mussolini – Eine
Bildnisstudie“ [1934]). Er bringt darin offen sein elitär-demokratiefeindliches
Weltbild zum Ausdruck und verherrlicht den „Duce“ und den italienischen
Faschismus; selbst antisemitische Töne sind in dem Buch zu finden. Weniger bekannt
ist seine Porträtbüste von Hitler, die er später im Auftrag der Lübecker
Handelskammer schuf. Die Professur an der Wiener Kunstakademie, die Behn von
1939 bis 1945 bekleidete, wäre ihm sicherlich nicht ohne seine ideologische
Nähe zum NS-Regime angetragen worden. Behn war mehrfach bei der jährlichen
„Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Münchener Haus der Deutschen Kunst, auf
denen den Volksgenossen die offizielle Kunst des „Dritten Reichs“ präsentiert
wurde, mit Arbeiten vertreten. Gleichwohl
spielte er in der Bildhauerei des Dritten Reichs eine nachgeordnete Rolle. Ein Protagonist der NS-Staatskunst war er nicht. Zu seiner
großen Enttäuschung erhielt er keinen einzigen großen repräsentativen Auftrag
von Seiten des NS-Regimes. Die damaligen Machthaber bekundeten ein nur mäßiges
Interesse an seiner Kunst. Lob fand Behn hingegen als kolonialer Künstler, wie
etwa im Jahr 1938, als die ‚Nationalsozialistischen Monatshefte’ ihre Leserschaft wissen ließen, er sei der „der
größte Träger deutscher Kolonialkunst in der Gegenwart“.[20] Das
NS-Magazin vergaß nicht zu erwähnen, dass dessen Afrikafahrten „niemals als
Europamüdigkeit im Sinne volksfremder Landflucht gedeutet werden (könnten). Er
ist auch alles weniger als ein Salonafrikaner, der sich durch Löwenfelle zu
legitimieren sucht.“ Mit einem Künstler wie Behn lerne man in Kontinenten
denken und „zwar gerade auf die eigenen, rassischen und völkischen Lebensfragen
bezogen.“[21] Die Feststellung des NS-Magazins dürfte schon damals bei
Kunstkennern in Zweifel gezogen worden sein, angesichts der Tatsache, dass Behn
ein ausgesprochener Zivilisationsverächter war.
Fritz Behn, einstmals als
„künstlerischer Pionier des deutschen Kolonialgedankens“[22]
gefeiert, lieferte – wie etwa die Maler Wilhelm
Kuhnert (1865-1960) und Ernst Vollbehr (1876-1960) – Bilder des Fremden, nach
denen der Kolonialismus zu seiner Legitimation verlangte. So ist die Tierkunst
von Behn nur vermeintlich unpolitisch gewesen, wie sich überhaupt der Exotismus
im Zeitalter des Imperialismus zunehmend politisiert zeigte. Sie inszenierte
ein Bild der afrikanischen Natur – oder vielmehr das idealisierte Bild einer
imaginären Topographie –, das wesentlich zur emotionalen Besetzung des
Kolonialismus beitrug und damit zur Vereinnahmung der Errungenschaften imperialer
Politik in Übersee. Getrieben von dem Wunsch nach exotistischer Entgrenzung,
mutierten Behns Projektionen von „Wild-Afrika“ zur Chiffre für die Sehnsucht
nach Ursprünglichkeit und Vitalität. In geradezu klassischer Weise verkörpert
Behn den Konflikt zwischen Kultur und Natur. Für ihn repräsentieren die Tropen
die Negation Europas mit seiner verhassten Moderne. Zu einer Öffnung für das
Andere konnte es dabei nicht kommen, ganz zu schweigen von einem „Dialog der
Kulturen“. Die aus dem Jahr 1926 stammende These von Carl Einstein, dass der
angestrengte Exotismus der klassischen Moderne den „expansiven Imperialismus
der Vorkriegszeit“ mit anderen Mitteln fortsetzte, findet in
dessen Werken ihre Bestätigung.[23] Und was das kolonialistische Weltbild von Behn betrifft,
so könnte dieser ähnlich gedacht haben, wie einst Emil Nolde: „Wenn von den
farbigen Eingeborenen aus gesehen, eine Kolonialgeschichte einmal geschrieben
wird, dann dürfen wir weißen Europäer uns verschämt in Höhlen verkriechen. – Es
wird aber nicht geschehen.“[24] Als Zeuge des Zeitalters der Dekolonisation hätte er
jedenfalls – im noch stärkeren Maße als Nolde, der bereits 1956 starb – die
Gelegenheit gehabt, eine solche Aussage zu revidieren.
Bei alledem gelang Behn, der mit seinen überwiegend naturalistischen
Tierdarstellungen, die er mal mehr, mal weniger stilistisch überformte, ein
eigenständiger Beitrag zur Kunstgeschichte. Er kann mit seinem umfänglichen
Werk von Tierskulpturen zu den wichtigsten deutschen Animaliers des 20.
Jahrhunderts gezählt werden. Er gehört zu jener Riege von Bildhauern, die der
autonomen Tierskulptur in Deutschland zum Durchbruch verhalf. Gleichwohl wird Fritz Behn, der heute
bei vielen Kritikern in Ungnade gefallen ist, auch weiterhin die Gemüter
polarisieren. Behn war eine schillernde
Künstlerpersönlichkeit, der sich dem Bannkreis des Imperialismus eben so wenig
zu entziehen vermochte wie dem Faschismus. Bis heute sieht sich der Monarchist
und Republikgegner Vorbehalten ausgesetzt, welche – abgesehen von seinem
kolonialen Herrenmenschentum – aus seinen Verstrickungen in den
Nationalsozialismus resultieren. Der Ruf, ein „Nazi-Bildhauer“ gewesen zu sein,
war der Grund, warum ihn die Kunst- und Kulturgeschichte lange ignorierte.
Das Desinteresse an seiner Kunst zeigte sich zuletzt im Jahr
2006, als das 1973 eingerichtete Fritz-Behn-Museum in Bad Dürrheim/Schwarzwald aufgelöst und die ca. 300 Werke der Sammlung von einem
Münchener Auktionshaus versteigert wurden.[25] Erst langsam setzt eine
kritische Auseinandersetzung mit seiner Person und seinem Werk ein.[26]
Literatur:
Artist and Empire. Facing Britain’s
Imperial Past, Alison Smith, David Blayney Brown, Carol Jacobi (Eds.), Tate Publishing,
Tate Britain, London 2015 (Katalog).
Einstein, Carl: Die Kunst der 20.
Jahrhunderts, Leipzig 1988 (zuerst 1926).
Karentzos, Alexandra: Postkoloniale
Kunstgeschichte. Revisionen von Musealisierung, Kanonisierung,
Repräsentationen, in: Julia Reuter / Alexandra Karentzos (Hg.): Schlüsselwerke
des Postcolonial Studies, Wiesbaden 2012, S. 249-266.
Neumeisters Moderne, Sonderauktion Fritz Behn (1878-1970), Nachlass
Sammlung Fritz Kiehn, 14. November 2007, Neumeister Münchener Kunstauktionshaus
GmbH & Co. KG, München 2007.
Rees, Joachim: Nachtzug nach Neuguinea.
Emil Noldes Reise durch Südostasien, in: ders.: Künstler auf Reisen. Von
Albrecht Dürer bis Emil Nolde, Darmstadt 2010, S. 189-200.
Said,
Edward W.: Orientalism, New York 1978 (dt. Ausgabe:
Orientalismus, Frankfurt/M. u.a. 1981).
Said,
Edward W.: Culture and Imperialism, London
1993 (dt. Ausgabe: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im
Zeitalter der Macht, Frankfurt/M. 1994).
Schmidt, Hugo (Hg.): Fritz Behn als Tierplastiker, München
1922.
Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: Ästhetik der
Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert, Marburg 2014
(2. Aufl.), 2 Bde.
Speitkamp, Winfried: Kolonialherrschaft und Denkmal. Afrikanische und
deutsche Erinnerungskultur im Konflikt, in: Wolfram Martini (Hg.): Architektur
und Erinnerung, Göttingen 2000, S. 165-190.
Zeller, Joachim:
Wilde Moderne. Der Bildhauer Fritz Behn (1878-1970), Berlin 2016a.
Zeller, Joachim:
Kunst und Kolonialismus. Das Afrikabild des Bildhauers Fritz Behn, in: Jahrbuch
für Europäische Überseegeschichte 16 (2016), Wiesbaden 2016b, S. 135-158.
Zeller,
Joachim: (Post-)Koloniale
Gedächtnistopographien in Deutschland. Möglichkeiten und Grenzen einer
„Dekolonisation der Kolonisierer“, in:Marianne
Bechhaus-Gerst / Joachim Zeller(Hg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen
Vergangenheit, Berlin 2018, S. 336-365.
[1]Weitere Werke von Fritz Behn in München: „Oberländer Stier“ im Tierpark Hellabrunn, Gruppe „Kraft“
im Ausstellungspark Theresienhöhe, Bismarck-Denkmal am Isarkai, Grabmäler auf Friedhöfen, Kleinplastiken im Stadtmuseum.
[2] Anonymus: Koloniale
Plastik, in: Kolonie und Heimat in Wort und Bild, IV, 1910/11, Nr. 49, S. 5.
[4] Said 1978. Said
entlarvt den abendländischen Orientalismus als Projektion kolonialer
Herrschaftsphantasien, doch habe er dabei ungewollt, so seine Kritiker, die
koloniale Grenzziehung zwischen dem „Westen“ und dem „Rest der Welt“ wiederholt.
Siehe auch ders. 1993.
[11] Was sein sonstiges Engagement in kolonialen Verbänden betrifft, so war
Behn nach eigener Aussage seit 1939 künstlerischer Berater der Bundesleitung im
Reichskolonialbund.
[12] Vgl. Anonymus:
Die Kunst im Dienste der Kolonial-Idee. Fritz Behn zum 50. Geburtstag,
in: Der Kolonialdeutsche 1928, S. 225.
[13] Das Motiv des Elefanten
verwendete Behn auch für die Plakette,
die er 1934 für die jährliche Tagung des Reichskolonialbundes gestaltete. Siehe
Zeller, Joachim: (Post-)Koloniale Monumente. Denkmalinitiativen erinnern an die
imperiale Übersee-Expansion Deutschlands, in: http://afrika-hamburg.de/denkmal5.html.
[15] Behn, Fritz: „Haizuru…“ Ein
Bildhauer in Afrika, München 1917, S. 48. Siehe auch ders.: Zur Frage der Mischehen,
in: Süddeutsche Monatshefte, Oktober 1912, S. 155 f.
[16] Behn, Fritz: Carl Peters. Ein
deutsches Schicksal, in: Süddeutsche Monatshefte, April 1917, S. 125-139;
ders.: Drei Briefe von Carl Peters, in: ebd., September 1928, S. 937-940.
[17] Für die Erinnerungsbücher, die Lettow-Vorbeck in den folgenden Jahren
veröffentlichte, lieferte Ruckteschell die Illustrationen. In der neueren
Forschung geht man davon aus, dass Ruckteschell als „Ghostwriter“ dessen
populärstes Buch „Heia Safari! Deutschlands Kampf in Ostafrika“ (1920) verfasst
hat, somit als eigentlicher Autor des Buches zu betrachten ist. Siehe u.a.: Walter von Ruckteschell 1882-1941. Eine Ausstellung des Zweckverbandes Dachauer
Galerien und Museen, 18. November 1993 bis 15. Januar 1994, Katalogtext v.
Birgitta Unger-Richter, Dachau 1993.
[18]Wilke, Sabine: Romantic Images of Africa. Paradigms of German Colonial
Paintings, in: German Studies Review 29/2, 2006, S. 285-298.
[19] Im Chaos der Kulturzersetzung,
Vortrag von Fritz Behn, in: Völkischer Beobachter, 4.3.1931.
[20] Anonymus: Tatmensch und Künstler – Fritz Behn, in:
Nationalsozialistische Monatshefte 1938, S. 1106-1111, hier 1109.
[24] Zit. n. Rees 2010, S. 195. Rees spricht von einer „Komplizenschaft“ Noldes mit
dem kolonialen Machtapparat des Kaiserreichs, die sich aus seiner Teilnahme an
einer vom Reichskolonialamt organisierten Reise nach Neuguinea ergeben habe
(ebd., S. 196).
[25] Neumeisters Moderne 2007. Die meisten
Arbeiten gelangten in die private Sammlung von Karl H. Knauf in Berlin.
Die Kolleg*innen von Augsburg postkolonial organisieren in Kooperation mit einigen anderen Gruppen eine Veranstaltung:
Im ersten Weltkrieg verlor Deutschland „seine“ Kolonien, dazu gehörte
auch Kamerun, wo bis 1916 gekämpft wurde. Die deutschen Soldaten
gerieten in Kriegsgefangenschaft, die Augsburger Presse berichtete.
Vielleicht hatte Brecht das vor Augen, als er in seinem Drama „Trommeln in der Nacht“
den Kriegsheimkehrer Andreas Kragler aus Afrika kommen ließ. Es gab
auch direkte persönliche und geschäftliche Beziehungen zwischen Augsburg
und Kamerun. Heute sind die gewaltsame Aneignung und Ausbeutung dieser
Kolonie durch Deutschland hier weitgehend vergessen.
Der Musiker Njamy Sitson präsentiert Musik und Erzählungen aus Kamerun.
Philipp Bernhard und Claas Henschel (Universität Augsburg)
skizzieren die durch den Kolonialismus gebotenen Karrierechancen für
Siedler, Soldaten und Wissenschaftler.
Jean-Pierre Félix-Eyoum (Großneffe des von den Deutschen
hingerichteten Königs der Duala, Rudolf Manga Bell) spricht über seinen
berühmten Vorfahren.
Jean-Pierre Bamy Bamy schildert seine Erfahrungen als Kameruner in Deutschland.
Michael Friedrichs (Brechtkreis) stellt einige Augsburger mit
persönlichen Verbindungen zur Kolonie Kamerun vor, u.a. den Augsburger
Kaufmann Eugen Kundt.
Eintritt 10 € | erm. 8 € (Abendkasse und Vorverkauf im Brechtshop)
In Kooperation mit dem Brechtkreis Augsburg e.V. im Rahmen der Afrikanischen Wochen Augsburg
29. November 2019 – 19.00 Uhr – evangelisches Forum Annahof
Veranstaltung mit den Aktivistinnen Esther Utjiua Muinjangue und Sima Deidre Luipert aus Namibia. Am 12.12.2019 um 19.30 im Saal des Münchner Stadtmuseums
Deutschlands kolonialer Genozid 1904-08 im heutigen Namibia betraf neben den widerständigen Männern besonders auch Frauen und Kinder, die in der Omaheke/Kalahari Region verdursteten oder in Konzentrationslagern zu Tode gequält wurden. Die prominenten Ovaherero- und Nama-Aktivistinnen Esther Utjiua Muinjangue und Sima Deidre Luipert berichten über den opferreichen Widerstand der Frauen und über ihre Rolle im anhaltenden Kampf für eine Anerkennung des Völkermords durch den Deutschen Bundestag. Sie erklären, warum die direkt vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften von Deutschland eine offizielle Entschuldigung und Entschädigung verlangen. Esther Utjiua Muinjangue ist Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation (OGF) und Präsidentin der Partei National Unity Democratic Organisation (NUDO) und Sima Deidre Luipert ist Menschenrechtsaktivistin und Vizevorsitzende des Genocide Technical Committee der Nama Traditional Leaders Association (NTLA).
Frauenstudien München in Kooperation mit ADEFRA Schwarze Frauen RG München und dem Werkstattkino e.V. zeigt
MILLIS ERWACHEN
Von und mit NATASHA A. KELLY
Wir befinden uns in Dresden und schreiben das Jahr 1911. Eine Schwarze Frau räkelt sich nackt auf dem Divan des Künstlers Ernst Ludwig Kirchner. Er malt ein erotisierendes Bild von ihr, reduziert sie zum Objekt der Begierde. Das Gemälde trägt später den Namen „Schlafende Milli“. Und Milli – falls das überhaupt ihr Name ist – bleibt stumm. Von ihr ist nichts bekannt. Nicht einmal, ob sie tatsächlich Milli hieß. Mit ihrem 2018 uraufgeführten Film MILLIS ERWACHEN gibt die Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly der schlafenden Milli eine Stimme. Es kommen acht Schwarze deutsche Künstlerinnen verschiedener Generationen zu Wort und berichten von ihren Auseinandersetzungen mit der andauernden kolonialen Kontinuität Deutschlands. Sie alle haben durch ihre künstlerische Praxis eine selbstbestimmte Position in der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft gefunden. Milli ist nicht mehr Objekt, sondern wird durch den Film, der die Vielfältigkeit und Verwobenheit der portraitierten Geschichten zeigt, zum Subjekt.
Mit einleitenden Vortrag der Regisseurin, Aktivistin und Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Natasha A. Kelly.
Im Anschluss Publikumsgespräch u.a. mit den Organisatorinnen Modupe Laja, Helen Keller und Elisabeth Beuttel
Geteilte
Welten. Exotisierte Unterhaltung und Artist*innen of Color in
Deutschland, 1920–1960
Bis
weit in das 20. Jahrhundert hinein war das Unterhaltungsgewerbe einer
der wenigen Bereiche, in denen Angehörige der kleinen Minderheit von
People of Color in Deutschland Arbeit fanden – und zwar nicht
trotz, sondern vielmehr gerade wegen der auf sie gerichteten
rassifizierenden und exotisierenden Zuschreibungen. In ihrer Ende
2017 im Böhlau Verlag erschienenen Dissertation untersucht Susann
Lewerenz, in welcher Weise sich die politischen und
gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts auf die Lebens- und
Arbeitsbedingungen sowie die Präsentationsstrategien von
Artist*innen of Color im Zirkus, Varieté und Schaustellergewerbe in
Deutschland niederschlugen. In der dialogischen Buchvorstellung wird
Susann Lewerenz dieser Frage anhand verschiedener Beispiele aus der
Münchener Unterhaltungskultur nachgehen. Ein besonderer Schwerpunkt
liegt dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus: Welche
Handlungsspielräume blieben Unterhaltungskünstler*innen of Color
angesichts der zunehmenden rassistischen Ausgrenzung und Verfolgung
von Menschen, die das NS-Regime als „artfremd“ ansah?
Moderation
und aktuelle künstlerische Positionen: Betiel Berhe und Sandrine
Kunis, Diversity-Trainerinnen, Initiative Schwarze Menschen in
Deutschland e.V.
Perspektivwechsel:
Exotisierte Unterhaltung und postkoloniale Erinnerungskulturen im
Museum
Der deutsche Kolonialismus fand sein Ende durch die deutsche
Kriegsniederlage im Ersten Weltkrieg. Doch hat er weit darüber
hinaus seine Spuren hinterlassen: in Form von Objekten, die bis heute
in Museen zu sehen sind, in Denk- und Deutungsmustern, in der
Erinnerungskultur – und nicht zuletzt in der Unterhaltung. Wessen
Geschichte wird erzählt, wenn im Museum über exotisierte
Populärkultur in München berichtet wird? Und welche Bezüge zu
Kolonialismus, Migration und Rassismus bleiben dabei unsichtbar?
Diesen Fragen geht die Historikerin Susann Lewerenz bei ihrem
Rundgang durch das Münchner Stadtmuseum nach. Anhand von Beispielen
aus der Unterhaltung in München ergründet sie die Zusammenhänge
von Kolonialismus, Migration und Rassismus zwischen 1920 und 1960.
Münchner Stadtmuseum in Kooperation mit:
NS-Dokumentationszentrum München // [muc] münchen postkolonial // Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.
Bei unserem Stadtrundgang geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit den lokalen Frankfurter Spuren der deutschen Kolonialgeschichte. Wir besuchen dabei verschiedene Stationen, an denen die (Nicht-)Aufarbeitung und (Nicht-)Erinnerung der deutschen Gesellschaft mit ihrer Kolonialgeschichte exemplarisch dargestellt werden kann. Wir thematisieren historische und gegenwärtige Bezüge zum Kolonialen im Lokalen. Dies ist ein Versuch, die kolonialen Spuren in der deutschen, hier Frankfurter, Gegenwart zu thematisieren und so ein Bewusstsein für in der kolonialen Vergangenheit gewachsene, heute teilweise fortbestehende Machtasymmetrien zu gewinnen.
Gesonderter Hinweis: Wir möchten im Kontext unseres Rundgangs darauf verzichten, rassistische/ koloniale Sprache oder Bilder wiederzugeben und bitten um entsprechende Sensibilität.
Treffpunkt: Euro-Zeichen, Willy-Brandt-Platz, Frankfurt am Main
Dauer des Rundgangs: ca. 2 Stunden
Wir bitten um Anmeldung: Anmeldeformular (via EPN Hessen) max. Teilnehmer*innenanzahl: 25 Personen
1891 brachte der Unternehmer J. Hood eine Gruppe von Frauen aus Dahomey (Benin) nach Paris, die als „Amazonen“ angekündigt wurden. 1892 gastierten sie in München in den Centralsälen und im Gärtnerplatztheater. Die 17-jährige Cula starb an einer Lungenentzündung. Die Beerdigung geriet zum Massenspektakel. Das Grab wurde 1921 aufgelassen und die Gebeine Culas der Anthropologischen Prähistorischen Sammlung überlassen.
Am 25. November 2018 jährt sich das Ende des deutschen Kolonialreichs in Afrika,
Ozeanien und Asien zum 100. Mal. Die brutale Durchsetzung deutscher Interessen während der 35-jährigen direkten Kolonialherrschaft kostete schätzungsweise einer Million Menschen – vor allem afrikanischer Herkunft – das Leben. Nicht nur Deutschlands Genozid an den Herero und Nama, sondern auch der Maji-Maji-
Krieg und der Feldzug Lettow-Vorbecks im Ersten Weltkrieg in Ostafrika waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Doch die Kolonialzeit hat nicht nur die ehemaligen Kolonien nachhaltig verändert. Zwar sind Kolonialismus und antikolonialer Widerstand aus dem kollektiven Gedächtnis der deutschen Mehrheitsgesellschaft verdrängt worden. Trotzdem ist auch diese Gesellschaft von 600 Jahren europäischem Kolonialismus entscheidend geprägt. Davon zeugt der anhaltende strukturelle und institutionelle Rassismus. Das spiegelt sich in Hunderten von
kolonialrassistischen Straßennamen und Denkmälern wider. Das belegt die Anwesenheit
Tausender sterblicher Überreste, die für menschenverachtende Forschungen in deutsche
Sammlungen verschleppt wurden. Daran erinnern zehntausende, im kolonialen Gewaltkontext angeeignete Kulturgüter in deutschen Museen.
Der koloniale Raubbau an Mensch und Natur setzt sich heute als andauernde globale
Ungerechtigkeit, als ungleiche Verteilung von Reichtum, Ressourcen und politischem
Einfluss fort. Besonders betroffen von struktureller Benachteiligung sind Menschen in Afrika und in der afrikanischen Diaspora. Um darauf hinzuweisen und den Beitrag von Menschen in Afrika und in der afrikanischen Diaspora an der Aufarbeitung der daraus erwachsenden Herausforderungen zu würdigen, haben die Vereinten Nationen 2015 die International Decade for People of African Descent ausgerufen.
Aus diesen Gründen begrüßen wir, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag
2018 die Kolonialzeit erstmals als eines der zentralen Themen der Erinnerungskultur in
Deutschland benannt hat. Zugleich protestieren wir entschieden gegen ihre Auffassung, dass es dabei nur um die „deutsche Kolonialgeschichte“ gehen würde. Denn nicht nur ist
Kolonialgeschichte eben keine nationale, sondern eine verwobene Geschichte Kolonisierender und Kolonisierter, welche nicht länger einseitig von Deutschland aus
interpretiert werden darf. Es ist vor allem auch nicht hinnehmbar, dass der deutsche
Kolonialismus – im Gegensatz zu der im Koalitionsvertrag eindeutig verurteilten
NS-Terrorherrschaft und zum ebenfalls kritisch bewerteten SED-Regime – nicht
explizit als Unrechtsherrschaft anerkannt wird.
Wir fordern die Bundesregierung, die Bundesländer und die Kommunen dazu auf:
– den Kolonialismus entsprechend Art. 14 der Erklärung der UN-Weltkonferenz gegen
Rassismus von Durban 2001, welche die Bundesregierung unterzeichnet hat, als Unrecht zu benennen und unmissverständlich zu verurteilen.
– jegliche Forschung an menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten, die nicht der Rückführung dieser Gebeine dient, sofort zu stoppen. Die Identifizierung und Rückgabe der für kolonialrassistische Forschungen missbrauchten human remains ist eine der dringlichsten geschichtspolitischen Aufgaben unserer Zeit und soll gemeinsam mit Expert*innen der Herkunftsgesellschaften erfolgen. Die betroffenen, ehemals kolonisierten Staaten und Gemeinschaften sind umgehend über den Verbleib ihrer verschleppten Vorfahr*innen und zu informieren, die in einer Online-Datenbank verzeichnet werden müssen. Zur schnellstmöglichen Bewältigung dieser Aufgabe sollen kurzfristig ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wer 600 Millionen Euro für den Aufbau des Humboldt Forums im Berliner Schloss ausgibt, darf an dieser Stelle nicht von fehlenden Geldern sprechen.
– dem Beispiel der Bundesländer Hamburg und Berlin zu folgen, welche die Nachfahr*innen der Opfer des deutschen Genozids (1904–08) an den Herero und Nama bereits um Entschuldigung gebeten haben. Es ist nicht hinnehmbar, dass eine Anerkennung des Genozids und eine offizielle Bitte um Entschuldigung durch den Bundestag und die Bundesregierung trotz jahrelanger deutsch-namibischer Regierungsverhandlungen noch immer nicht erfolgt ist. Nach der UN-Deklaration für die Rechte indigener Völker dürfen die selbstbestimmten Vertreter*innen der Herero und Nama nicht länger von diesen für sie entscheidenden Verhandlungen ausgeschlossen werden. Im Rahmen des von ihnen geforderten Trialogs soll auch über die Höhe der an die Herero- und Nama-Gemeinschaften zu zahlenden Entschädigungen für den von der deutschen Regierung im Rahmen des Genozids vollzogenen Land-und Viehraub verhandelt werden.
-die offenbar über Jahrzehnte vernachlässigte Provenienzforschung zu Kulturobjekten aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen und Sammlungen mit erheblich mehr finanziellen Mitteln auszustatten und voranzutreiben. Die Objektgeschichten, die Umstände der ungleichen Aneignung oder des Kulturgüterraubs müssen in enger Zusammenarbeit mit Expert*innen aus den betroffenen Gesellschaften erarbeitet sowie sukzessive und mehrsprachig in eine öffentlich zugängliche Online-Datenbank gestellt werden. Über den Verbleib der in kolonialen Gewaltkontexten angeeigneten Kulturschätze sollen die betroffenen Gesellschaften proaktiv informiert werden.
-der geplanten Rückgabe von Objekten aus Hendrik Witboois Privatbesitz durch Baden-Württemberg zeitnah weitere Restitutionen von gewaltsam angeeigneten Kulturgütern folgen zu lassen. Den Vorschlag eines Verleihs erbeuteter Objekte an die Herkunftsgesellschaften, wie er für die einzigartigen Benin-Bronzen angedacht ist, lehnen wir als Zumutung für die Enteigneten ab. Vielmehr muss die Restitution aller Objekte aus kolonialen Kontexten, deren rechtmäßiger Erwerb nicht nachweisbar ist, angeboten werden. Die Voraussetzungen für eine Rückgabe solcher Kulturschätze aus der Zeit 1884 – 1918, in der Teile Afrikas, Ozeaniens und Asiens unter deutscher Herrschaft standen, sollen im Laufe der kommenden vier Jahre geschaffen werden.
– umfassende Konzepte zur kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und seinen Folgen sowie zur Dekolonisierung der Erinnerungskultur auf der Ebene des Bundes, der Länder und Kommunen zu erarbeiten. Diese Konzepte sollen unter maßgeblicher Beteiligung der Nachfahr*innen Kolonisierter und in enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen erstellt und umgesetzt werden.
-am Platz der Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 und in anderen Städten in Deutschland Mahnmale für die Opfer von Kolonialismus, Versklavung und Rassismus sowie Lern-und Gedenkstätten zu errichten. Bei der Konzeption solcher Erinnerungsorte sind die bundesweiten und regionalen Organisationen der Nachfahr*innen Kolonisierter von Beginn an maßgeblich einzubeziehen. Diese Erinnerungsorte sollen wie jene zur NS-Terrorherrschaft und zum SED-Regime in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Berücksichtigung finden. Bei der Errichtung und Ausstattung von Mahnmalen sowie Lern-und Gedenkstätten in Deutschlands ehemaligen Kolonien sollen die Nachfahr*innen der Kolonisierten finanziell unterstützt werden.
-Straßen, die durch ihren Namen Kolonialakteur*innen und -verbrecher*innen ehren oder rassistische Fremdbezeichnungen fortschreiben, in Würdigung von Persönlichkeiten des antikolonialen Widerstands umzubenennen. Die Benennungsgeschichten der Straßen sollen in der Folge auf einer Informationstafel sichtbar gemacht werden. An Straßen, deren Namen durch Ortsbezeichnungen oder auf andere Weise einen Bezug zur Kolonialgeschichte herstellen, braucht es kritische Kommentierungstafeln.
-den schulischen und universitären Geschichtsunterricht zu globalisieren und zu diversifizieren. Der kritischen Auseinandersetzung mit dem europäischen Kolonialismus und Rassismus sowie der Erinnerung und Würdigung des antikolonialen Widerstands muss ein zentraler Platz in den Lehrplänen von Schulen, Universitäten und Fortbildungseinrichtungen für Lehrkräfte eingeräumt werden. Die Zusammenarbeit von Bildungsinstitutionen mit externen Bildungsexpert*innen aus Initiativen zur Dekolonisierung und gegen Rassismus ist stärker zu fördern. Das neue Bundesprogramm „Jugend erinnert“ soll thematisch um die kritische Auseinandersetzung mit dem europäischen und deutschen Kolonialismus erweitert werden. Zudem soll eine namibisch-deutsche Schulbuchkommission einberufen werden.
-die öffentlichen Museen zu dekolonisieren. In ihrer Repräsentation basieren die meisten europäischen Museen noch heute auf den eurozentrischen und nationalistischen Ideen des 19. Jahrhunderts, die zu einer rassistischen Konstruktion des außereuropäischen „Anderen“ geführt haben. In den Ausstellungsnarrativen wird die gewaltvolle Kolonialgeschichte zudem oft verharmlost oder verschwiegen. Die Nachkommen der Kolonisierten müssen als maßgebliche Expert*innen eingeladen werden, um in den Museumsteams eingebunden zu werden.
Die am Bundestreffen der Initiativen zur Dekolonisierung der Erinnerungskultur am 17./18. November 2018 in Berlin teilnehmenden Organisationen:
AfricAvenir International
AFROTAK TV cyberNomads
Arbeitskreis Hamburg Postkolonial
Arbeitskreis Koloniales Vergessen. Quo Vadis, Hamburg?
Arbeitskreis Panafrikanismus München
Arca – Afrikanisches Bildungszentrum e. V.
Augsburg postkolonial
Berlin Postkolonial
Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag – BER
Cottbus postkolonial und postsozialistisch
decolonize Jena
Decolonise Academia; Tübingen
Düsseldorf postkolonial
Dresden Postkolonial
FuturAfrik – Forum für Globale Gerechtigkeit
Halle Postkolonial
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD
kassel postkolonial
Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika – KASA
Leipzig Postkolonial
[muc] münchen postkolonial
Potsdam postcolonial
Schwarze Diaspora Hochschulgruppe Potsdam
Tanzania-Network.de